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Aus einer TCM-Arztpraxis: Meridiane und Akupunkturpunkte

Dr. med Karin Schuller hat in Graz Medizin studiert, und absolvierte die Ausbildung zur Ärztin für Allgemeinmedizin am Pyhrn Eisenwurzen Klinikum Steyr. Einer ihrer beruflichen Stationen führte sie dort für einige Zeit auf die Palliativstation. Seit 2016 ist Dr. Schuller in Steyr in eigener Praxis als Ärztin für Traditionell Chinesische Medizin tätig.

 

Bereits während ihres Studiums ergänzte Dr. Schuller ihre Ausbildung mit ergänzenden komplementärmedizinischen Methoden. Fündig wurde sie in der Akupunktur, die Reizung von Akupunkturpunkten mit Hilfe von Nadeln. Es ist dies eine sehr alte Behandlungsform, die vor 3000 Jahren bereits in China bei Erkrankungen wirkungsvoll eingesetzt wurde. Wir kennen sie als Traditionell Chinesische Medizin (TCM). Von der Materie fasziniert, lernte Karin Schuller bei Professor Dr. med. Leopold Dorfer an der Universität Graz. Weiters machte sie eine mehrjährige TCM-Ausbildung bei Dr. med. Florian Ploberger, ein profunder Kenner der chinesischen und tibetischen Welt. Kurzum: das Handwerk des Akupunktierens und das Wissen über fernöstliche und westliche Kräuter lernte Dr. Schuller von der Pike auf.

 

Ich habe mich mit Dr. Schuller über ihre Erfahrungen mit Akupunktur unterhalten.   

 

Karin, gab es ein besonderes Erlebnis, wie du zur Akupunktur gekommen bist?

Während meines Medizinstudiums war mir der Blick über den Tellerrand hinaus wichtig. An meiner Universität wurden ergänzend Kurse in Homöopathie, Feldenkrais und Shiatsu angeboten. So erlernte ich die Akupunktur bei Professor Dr. Leopold Dorfer, Vorsitzender der Österreichischen Gesellschaft für kontrollierte Akupunktur (OGKA). Nach einiger Zeit erwirkte ich das Akupunktur-Diplom der Österreichischen Ärztekammer. Beim Akupunktieren in meinem Familien- und Bekanntenkreis stellte ich fest, dass sich bei Beschwerden oft rasch Besserungen einstellten.

 

Bei einer Akupunkturbehandlung stichst du mit sehr feinen sterilen Nadeln besondere Punkte am Körper eines Patienten an. Was bewirkt dieser Vorgang genau? Die Chinesen haben über Jahrhunderte und Jahrtausende ein System beobachtet, das kein Korrelat zu einem System in unserer westlichen Welt hat. Grob gesagt, fließt Chi (Energie) durch unseren Körper. An bestimmten Punkten ist diese Energie etwas oberflächlicher. Hier setze ich Reize mit Nadeln, um beispielsweise Staus in diesem Energiefluss zu lösen, Energie die überschüssig ist, abzuleiten oder auch um Energie aufzufüllen.

 

In der Ohrakupunktur setze ich zusätzlich kleine Dauernadeln ein, die bis zu zwei Wochen am Ohr belassen werden können. Diese haben den Mehrwert, einen noch stärkeren Reiz auszuüben. Am Ohr bildet sich wie auf der Zunge oder auf der Fußsohle der gesamte Körper in Miniaturform ab. Hier kann ich unterstützend zur Körperakupunktur arbeiten oder sie als eigenständige Behandlungsform durchführen. Am Ohr gibt es darüber hinaus viele psychisch und emotional regulierende Punkte, die ich daher gerne ergänzend verwende.  

 

Kannst du bitte etwas Basiswissen über die Meridiane vermitteln? Im Wesentlichen gibt es zwölf Haupt- und einige Nebenmeridiane, folglich Energiebahnen, die unseren Körper durchziehen. Jeder Hauptmeridian ist einem Körperbereich beziehungsweise einem Organ zugeordnet: folglich Magen, Lunge, Herz, uvm. Bei einer Erkrankung der Lunge, versuche ich beispielsweise, Ungleichgewichte besonders am Lungenmeridian zu beheben. Dieser Meridian zieht sich auf der Körpervorderseite vom Brustkorb bis zum Daumen.

 

Dies mag einfach anmuten, das System ist aber komplexer. Viele Akupunkturpunkte besitzen übergeordnete Funktionen. Beispielsweise fördern manche Punkte den Schlaf, sie beruhigen den Geist oder sie besitzen eine Schmerzlindernde Funktion. Diese Punkte sitzen oft auf anderen Meridianen als dem des hauptbetroffenen Organs. Sie liegen auch weit vom „Problem“ entfernt. Als Beispiel sind viele Punkte gegen Verdauungsstörungen an den Füßen. Die Kunst besteht darin, dass ich die Nadeln so kombiniere, dass sie den gesamten Menschen harmonisieren, so erziele ich umfassende Wirkungen. 

 

Was ist das Besondere an deiner Arbeit? Sehr schön finde ich, dass ich mir besonders viel Zeit nehmen kann, um den gesamten Menschen wahrnehmen kann, um ihn im wahrsten Sinn des Wortes zu behandeln. Beim Hand anlegen passiert sehr viel und Akupunktur wirkt auch auf geistig-emotionaler Ebene. Ich mag es auch, die Körperakupunktur mit Ohrnadeln, Schröpfen oder Wärmeanwendungen (Behandlung ähnlich Moxen) zu erweitern, das macht die Behandlung individueller. 

 

In der chinesischen Medizin besitzen die Akupunkturpunkte besondere Namen. Ich denke hier beispielsweise an „die Weisheit der vier Götter“. Gibt es hierzu etwas zu erzählen, wie es zu den Namen gekommen ist? In unseren Breiten ist es gebräuchlich, die Akupunkturpunkte nach Meridian und Nummer zu bezeichnen, so beispielsweise „Magen 36“. Ich finde allerdings die chinesische Art, blumige Namen für diese Punkte zu verwenden, auch sehr schön. Bei über 400 Punkten kenne ich die wesentlichsten in ihrer Bezeichnung. Es wird meist die Wirkung des Punktes beschrieben, beispielsweise „Milz-Pankreas 10“ heißt „Meer des Blutes“. Diese Bezeichnung geht auf die Wirkung zurück, dass das Blut gestärkt wird. Den Punkt „Blase 12 - Tor des Windes“ behandle ich bei Nackenbeschwerden, die durch Zugluft beziehungsweise Wind aufgelöst werden. Der Punkt „Magen 36“ der „Drei Dörfer“ ist ein stärkender Punkt, der früher Soldaten gestochen wurde, damit diese drei Dörfer weitermarschieren konnten. Die „Weisheit der vier Götter“ sind vier Punkte rund um den höchsten Punkt unseres Kopfes. Sie stärken Konzentration und geistige Kraft.

 

Wer besitzt Akupunkturpunkte und wie sind die Akupunkturpunkte für dich ersichtlich? Alle Menschen und Tiere besitzen Akupunkturpunkte. Das Wissen um die Akupunkturpunkte gab es auch in unseren Breiten, insbesondere in Nord- und Mitteleuropa, ging aber vor vielen Hundert Jahren verloren. In China wurde das Wissen um die Akupunktur indes weiter ausgebaut und perfektioniert. Heute wird dieses Wissen dort auf universitärem Niveau geforscht und gelehrt. Eine primitive volksheilkundliche Form der Ohrakupunktur gab es im Übrigen bei uns bis ins 19. Jahrhundert. Die Ohrakupunktur wurde von Dr. Paul Nogier neu belebt, sie entstammt also Westeuropa.  

 

Ich muss als Ärztin die Lage der Akupunkturpunkt exakt wissen, beispielsweise drei Daumen breit unterhalb der Kniescheibe und einen Finger breit seitlich der Schienenkante. Spürbar für mich ist aber auch eine leicht veränderte Hautoberfläche. Histologisch kann bei Akupunkturpunkten ein Gefäß-Nervenbündel nachgewiesen werden, das an die Oberfläche tritt.

 

Gibt es ein Beispiel aus deinem Praxisalltag, das dir in Bezug auf das Akupunktieren besonders in Erinnerung geblieben ist? Es gibt viele schöne Momente. Eine Patientin litt beispielsweise jahrelang unter Kopfschmerzen. Nach lediglich drei Sitzungen war sie über lange Zeit beschwerdefrei. Bei einer schwangeren Patientin war das Kind noch gegen Ende der Schwangerschaft in Steißlage. Nach zwei Moxabehandlungen drehte sich das Kind und eine Geburt auf natürliche Weise war nun möglich. Aber auch die Möglichkeiten der Akupunktur und TCM sind begrenzt. Manchmal kann ich nur wenig aber auch gar nicht helfen. Solche Fälle gibt es leider auch.

 

Du beschäftigst dich auch mit den fernöstlichen Kräutern, die du ergänzend zu deiner Behandlung in Form einer Kräutertherapie einsetzt. Hast du einen Tipp für einen immunstärkenden Kräutertee, um sich vor Erkältungen in der kühleren Jahreszeit zu wappnen? Neben ausreichend Schlaf und guter Ernährung (in Ruhe regelmäßig essen, saisonal, viel Gekochtes) können Menschen Präparate aus Sonnenhut (Echinacea) oder Tragantwurzel (Astragalus) verwenden.

Ergänzend ein westlicher Tee nach Florian Ploberger: 7g Salbei (Folium salviae), 3g Eichenrinde (Cortex quercus), 1g Zimtrinde (Cortex cinnamomi), 5g Mandarinenschalen (Pericarpium citri reticulatae). Die Tagesdosis mit 0,75l heißem Wasser übergießen und 5-7 Minuten ziehen lassen. Über den Tag verteilt lauwarm trinken. Kräuterführende Apotheken mischen diese Teemischung gerne zusammen.

 

Aus TCM-Sicht wirkt Tragant intensiver als Salbei. Die entsprechende nachstehende chinesische Zusammenstellung empfehle ich zur Vorbeugung und Behandlung von Erkältungskrankheiten. Die Mischung heißt „Jade Windschutzpulver“.  

Tee oder Granulat (Tagesdosis): 9g Tragant (Radaxiis astragali), 7g Großköpfiges Speichelkraut (Rhizoma atractylodis macrocephalae), 6g Windschutzwurzel (Radix saposhnikoviae), 2g Süßholzwurzel (Radix glycyrrhizae).

 

Die Anwendung soll nur von kurzer Dauer (max. 4 Wochen) sein.

 

Liebe Karin, herzlichen Dank für unser Gespräch.

 

Interessierte finden weitere Information auf der Webseite von Dr. med Karin Schuller: www.tcm-steyr.at